Soest, wo einst Nichtsnutze bestraft wurden

Soest, eine Stadt in Nordrhein-Westfalen, die es geschichtlich und architektonisch in sich hat.

Das geht doch auf keine Kuhhaut, was da wieder angestellt wurde. Warum etwas auf keine Kuhhaut passt, das können am besten die Soester Bürger beziehungsweise deren Vorfahren erzählen. Tatsächlich stammt dieser Spruch aus Soest und findet seinen Ursprung im Jahr 1226, als die Stadtoberen das erste deutsche Stadtrecht verfassen ließen. Damit dieses so schriftlich und bildlich niedergelegte Rechtsstatut aber auch lange hielt, wählte der beauftragte Verfasser statt des damals üblichen Pergaments die Haut einer Kuh. Der ersten Kuhhaut folgte rund 60 Jahre später eine zweite, weil eben nicht alles auf eine Kuhhaut passt. Doch damit nicht genug, kam rund 30 Jahre später, um 1315, ein Acht- und Schwurbuch hinzu, auch das Buch der Nichtsnutze genannt. Darin sind in eindringlichen Bildern die Strafen dargestellt, die Diebe, Bettler oder andere Gesetzesbrecher zu erwarten hatten.

Das Soester Stadtrecht wurde übrigens von 65 anderen deutschen Städten übernommen, darunter beispielsweise Lübeck oder Rostock.

Heute, fast 800 Jahre nachdem eine Kuhhaut zum Dokument wurde, ist Soest die Kreisstadt des gleichnamigen Kreises und liegt mit seinen etwa 48.000 Einwohnern zwischen Paderborn und Dortmund. Das faszinierende an Soest, was einen Städtetrip für Architektur- und Geschichtsbegeisterte zum Muss macht, ist die Tatsache, dass sich in der Stadt rund 600 Gebäude und Bauwerke befinden, die unter Denkmalschutz stehen und teilweise noch älter sind als die Kuhhaut, die längst den Weg allen Irdischen gegangen ist. Dass aber so viele alte Bauten noch stehen, ist fast schon ein Wunder, denn Soest war ein Hauptangriffsziel alliierter Bomber während des Zweiten Weltkriegs.

Bombenhagel mit geringen Folgen für die Altstadt

Mehrmals flogen alliierte Bomberverbände Angriffe auf die Stadt Soest, die während der Naziherrschaft einen bedeutenden Rangierbahnhof betrieb. In der Innenstadt wurden zudem Akkumulatoren für Hitlers Kriegsmaschinerie hergestellt. Zum Glück befand sich der historische Stadtkern etwas außerhalb der Ziellinie vom Rangierbahnhof und der Akku-Fabrik. Sicher wurden gut 60 % der Soester Gebäude beschädigt oder zerstört, jedoch kaum die Häuser, die schon Schwedens König während des dreißigjährigen Krieges im 17. Jahrhundert vorbeiziehen sahen.

Wer heute die Stadt besucht, kann auf einer Stadtmauer spazieren gehen, die um 1180 errichtet wurde, oder das Museum im Osthofentor besuchen, in dem im Jahr 1534 zehn Täufer des Münsteraner Täuferreichs, einer radikalen Kirchensekte unter Jan van Leiden, hingerichtet wurden. Dessen Geschichte wurde mit dem Titel: „König der letzten Tage“ mit Christoph Waltz in der Hauptrolle verfilmt.

Neben den Wehranlagen sind die ab etwa dem 16. Jahrhundert entstandenen Fachwerkbauten und die älteren Massivbauten aus Grünsandstein von architektonischem Interesse. Wahrhaft historisch Essen und Trinken lässt es sich in Soest sowieso. Das Pilgrimhaus am Jakobitor ist seit über 700 Jahren fast ununterbrochen für Gäste geöffnet. Der Autor des Simplicissimus, Cristofel von Grimmelshausen, ließ hier seinen berühmten Jäger von Soest unfreiwillig ins Ehejoch tappen, vor über 340 Jahren. Einen gewissen Sinn für schwarzen Humor kann den Vorfahren der heutigen Soester Bürger kaum abgesprochen werden. Hier hat ein weiteres geflügeltes Wort seinen Ursprung: „über den großen Teich fliegen“. Heute sind damit Atlantiküberquerungen mittels Flugzeug gemeint, früher starteten zuvor kahlgeschorene Delinquenten, die beim Diebstahl von Obst oder Gemüse erwischt wurden, auf der Soester Wippe zum Flug über den Soester großen Teich. Für Nichtschwimmer eine durchaus drastische Bestrafung. Heute ist die Stadt Soest wie ein wunderbares historisches Buch, nur muss die Fantasie nicht angestrengt werden, um es sich vorzustellen. Soest ist in Vergangenheit und Gegenwart real.

Juli 2020



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